Der Internationale Hebammentag wird seit 1991 jeweils am 5. Mai in mittlerweile mehr als 50 Ländern begangen, um Hebammen und ihre Arbeit zu ehren und auf die Bedeutung der Hebammen für die Gesellschaft hinzuweisen. An der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) gibt es seit rund zwei Jahren den Studiengang B.Sc. Hebammenwissenschaft. Lena-Nisa Gollin ist Expertin, Hebamme und Dozentin für Hebammenwissenschaft an der FHM. Sie hat eine klare Meinung zu diesem Thema und gibt außerdem Tipps, wie junge Mütter anstelle von Perfektionswahn mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit umgehen können.
Ein spurenloses Leben gibt es nicht!
Hebammen haben zunehmend mit einem idealisierten Mütterbild zu kämpfen, das Frauen unter körperlichen Perfektions-Druck setzt. Vor allem Schwangerschaft und Geburt verändern nicht nur die Psyche, sondern auch den Körper einer Frau nachhaltig. Merkwürdigerweise werden in der modernen Gesellschaft mittlerweile eher Bindungsprobleme und Wochenbett-Depressionen akzeptiert als die vermeintliche körperliche Veränderung, die junge Mütter an sich erleben.
Wird der pralle, runde Bauch noch gefeiert, so hat die Frau doch spätestens drei Monate nach der Geburt zu „liefern“: Dann muss der Bauch wieder flach, müssen die Oberschenkel straff und die Brüste in Form gebracht sein. Beide Vorstellungen sind natürlich medial geprägt. Zeitschriften und Magazine wetteifern mit Instagram und Co um die besten Bilder von den „Schönen Babybäuchen der Stars“. Nur: Irgendwann ist Schluss. Dann muss aus der jungen Mutter, die ganz kurz aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten ist, nun augenblicklich wieder die attraktive junge Frau werden, die wir vorher kannten. Ein umgekehrtes Vorher-Nachher, mit klaren Regeln.
Dabei gibt es kein spurenloses Leben. Aber das ist schwer zu vermitteln. Hebammen wie Müttern macht das falsche Bild vom Muttersein zu schaffen. Rückbildung dauert in der Regel zwei Jahre. Und auch danach ist nichts mehr so, wie es vorher war.
Was die Hebammenwissenschaft sagt
Aufgabe der Hebammenwissenschaft ist es, dieses tradierte Bild von „der“ Mutter zu hinterfragen. Kosmetik- und Wellness-Industrie verdienen einstweilen gut daran, die Frage ist aber, ob Drang und Zwang zur scheinbaren „Makellosigkeit“ den Frauen guttun. Woher kommen die Normen? Wem nützen sie? Inwieweit entsprechen sie der gesellschaftlichen und auch der persönlich erlebten Realität?
Wenn Hebammen für das Wohl und die Gesundheit von Mutter und Kind sorgen, dann muss in der Selfie-Zeit des 21. Jahrhunderts zunächst ganz neu herausgefunden werden, was dieses „Wohlergehen“ sein kann. Was tatsächlich gut tut, entspannt, zu einem zufriedeneren Leben führen kann – dazu gibt es hinreichend Forschungsergebnisse.
Diese haben eher wenig mit dem glamourösen (und vielfach bearbeiteten) Bild der Stars zu tun: Wohltuend ist für junge Mütter – wie für jeden – maßvolle Bewegung, wohltuend ist eine ausgewogene und angepasste Ernährung. Und darüber hinaus? Wohltuend ist, für möglichst ausreichenden Schlaf zu sorgen, für den individuell passenden Wechsel von sozialem Leben und Rückzug. Und entspannend und weise wäre es wohl auch, Veränderungen wertzuschätzen: Als sichtbare Spuren des Lebens und der Liebe.
Lena-Nisa Gollin,
Hebamme und Dozentin für Hebammenwissenschaft
an der FHM Hannover