Der Juni gilt offiziell als „Pride Month“. Deutschlandweit werden unter anderem Christopher Street Days (CSDs) organisiert. Rund um den CSD in Hannover (27. Mai) ist es jüngst zu queerfeindlicher Gewalt gekommen. Seit 1970 gibt es Christopher Street Days (CSDs) oder auch Pride Parades, die sich aus den Stonewall Riots heraus entwickelten. Während der Stonewall Riots in New York wehrten sich queere Menschen – meist People of Color – gegen willkürliche Polizeigewalt. Über 40 Jahre später werden CSDs wichtiger denn je – auch in Deutschland. Hier hat sich juristisch einiges im Sinne queerer Menschen entwickelt, auch wenn es weiter viel Luft nach oben gibt – Deutschland liegt mit Platz 15 von 49 nach ILGA Europe im europäischen Vergleich im Mittelfeld.
Kommentar von Dr. Marcel Hackbart, Dozent für Psychologie an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM). Dr. Hackbart ist Experte auf diesem Gebiet, er hat unter anderem 2021 ein Buch zum Thema „Gesunde Vielfalt pflegen – Ansätze zu sexueller und geschlechtlichter Vielfalt in Prävention, Intervention und Rehabilitation“ herausgegegeben.
Kommentar:
Stigmatisierung und Diskriminierung sind für queere Menschen in Deutschland an der Tagesordnung. Nach der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 hielten 9,2 Prozent der Deutschen Homosexualität für eine Krankheit, die geheilt werden kann. Hass und Hetze, insbesondere in Social Media, sind gang und gäbe. Im Jahr 2022 waren etwa 20 Prozent der gemeldeten Gewalttaten politisch motivierte Kriminalität gegenüber queeren Menschen. Beobachtet man die Hasskriminalität nach polizeilichem Meldedienst, so steigt dieser Anteil seit 2015 immer weiter an. Das Ausmaß an Hasskriminalität ist erschreckend.
CSDs, Aktionen um den Internationaler Tag gegen Homosexuellen-, Bisexuellen-, Inter*-, Trans*- und Asexuellen-Feindlichkeit (IDAHOBITA am 17. Mai) oder auch den Pride Month jetzt aktuell im Juni machen auf die Missstände aufmerksam und fordern Antidiskriminierung gegenüber queeren Menschen – und dies immer stärker intersektional. Der zelebrierende Charakter von CSDs und anderen Maßnahmen haben ein stark empowerndes Moment: Queere Menschen feiern sich selbst und genießen eine Situation, in der sie ausnahmsweise die „Norm“ sind. Darüber hinaus ist auch die Thematisierung von Sexualität empowernd.
Allerdings kann dies zu großem Widerstand gegenüber CSDs und weitergehend gegenüber queeren Menschen führen – und somit gehen Antidiskriminierung und Empowerment nicht immer Hand in Hand. Dabei können auch nicht-queere Menschen von dieser empowernden Sichtbarkeit profitieren, in dem sie beispielsweise Geschlechtsrollenstereotype der heteronormativen Gesellschaft reflektieren.
Zur Verbesserung der Lage queerer Menschen braucht es eine Berücksichtigung aller relevanten Ebenen der Diskriminierung, das heißt strukturell, also in u. a. Politik, Gesetzen und Kultur, institutionell, beispielsweise durch Diversity Management, interaktional, zum Beispiel durch Intergruppenkontakt, und intrapersonal, also durch mehr Empathie und Perspektivwechsel.
Die vielen Aktionen zu unterschiedlichen Anlässen, wie unter anderem CSDs, können hier einen kleinen Teil leisten, Antidiskriminierung muss jedoch systematisch angegangen werden. Und dies für alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Dr. Marcel Hackbart,
Dozent für Psychologie an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM)